Bedeutet die Diversion im Strafverfahren ein Schuldanerkenntnis?

Seit dem Jahr 1999 gibt es die Möglichkeit der diversionellen Erledigung eines Strafverfahrens. Mit Einverständnis des Beschuldigten oder Angeklagten tritt der Staatsanwalt unter bestimmten Voraussetzungen von der Verfolgung zurück/stellt der Richter das Verfahren ein. Es kommt zu keiner Verurteilung.

Bei einer Diversion müssen sich die Gerichte und Verwaltungsbehörden mit der Frage auseinandersetzen, welche Bedeutung diese für andere Verfahren hat. Ist aufgrund der Diversion davon auszugehen, dass die Tat begangen wurde? Hat die Diversion beispielsweise Bindungswirkung in einem anschließenden Disziplinarverfahren?

Erstmals im Jahr 1999 wurde die Möglichkeit eingeführt, ein Strafverfahren durch Diversion zu erledigen. Die Instrumente wurden seither ausgeweitet und haben in der Strafrechtspraxis inzwischen auch quantitativ erhebliche Bedeutung.

Eine Diversion ist idR möglich, wenn die Tat mit einer maximal 5-jährigen Strafe bedroht ist, die Schuld nicht schwer ist und die Tat nicht den Tod eines Menschen (ausgenommen nahe Angehörige) zur Folge hatte. Instrumente der Diversion sind die Zahlung eines Geldbetrages, die Erbringung gemeinnütziger Leistungen, die Bestimmung einer Probezeit sowie der Tatausgleich (Konfliktregelung im Einvernehmen mit dem Opfer).

Die Diversion beruht auf Freiwilligkeit, setzt also die Einwilligung des Beschuldigten/Angeklagten voraus.

Kommt es zu einer Diversion, hat der Staatsanwalt von der Verfolgung zurückzutreten. Ist bereits eine Anklage erhoben, hat das Gericht bei diversioneller Erledigung das Verfahren einzustellen. Im Ergebnis kommt es zu keiner Verurteilung; im Strafregister erfolgt keine Eintragung.

In der Praxis wird ein vernünftiger Verteidiger einem Beschuldigten/Angeklagten im Zweifel zur Annahme eines Diversionsangebotes raten. Dies insbesondere dann, wenn der Ausgang des Verfahrens nur schwer vorhersagbar ist, wenn Beweisprobleme bestehen, häufig aber auch nur deshalb, weil die Diversion dem Beschuldigten die Mühen eines langen und möglicherweise kostenintensiven Strafverfahrens erspart. Selbst wenn es im Ergebnis nach einem langen und kostenintensiven Verfahren zu einem Freispruch kommt, leistet der Bund lediglich einen bescheidenen Beitrag zu den Verteidigungskosten, sodass den Großteil der Kosten der Beschuldigte selbst zu tragen hat. Demgegenüber ist die Zahlung eines Geldbetrages in überschaubarer Höhe häufig das Mittel der Wahl.

Probleme bereitet die diversionelle Erledigung aber häufig dann, wenn sich an die Frage der Tatbegehung rechtliche Konsequenzen in anderen Rechtsbereichen knüpfen. Eine strafrechtliche Verurteilung hat eine faktische Bindungswirkung für andere Rechtsbereiche, etwa für ein Zivilverfahren. Im Zivilprozess wegen des verursachten Schadens kann der wegen fahrlässiger Körperverletzung Verurteilte eben nicht mehr einwenden, dass ihn am Unfall kein Verschulden treffe.

Welche Wirkungen hat aber nun eine diversionelle Erledigung? Ist in anderen Verfahren davon auszugehen, dass die Tat wohl begangen worden ist, weil der Angeklagte eine Diversion akzeptiert hat? Kann umgekehrt in einem Disziplinarverfahren der strafrechtlich Angeklagte vorbringen, dass sein Verschulden gering ist, weil es ja eine diversionelle Erledigung gegeben hat? Kann ein Autolenker, dessen Strafverfahren diversionell erledigt wurde, im Schadenersatzprozess behaupten, dass in gar kein Verschulden treffe?

Insbesondere mit den dienstrechtlichen Folgen einer diversionellen Erledigung musste sich der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach befassen:

In der Entscheidung 8 ObA 65/16s vom 30.5.2013 hatte der OGH über eine Entlassung einer einem Sozialversicherungsträger angestellten Zahnärztin zu entscheiden. Auf deren Dienstrecht ist die Dienstordnung B für Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs anwendbar; das Dienstverhältnis ist in besonderer Weise in seinem Bestand geschützt, eine ungerechtfertigte Entlassung beendet das Dienstverhältnis nicht.

Gegen die Zahnärztin war wegen des Verdachts, sie habe zahnärztliche Instrumente mitgenommen und in ihrer eigenen Ordination verwendet, eine Strafanzeige erstattet worden. Gleichzeitig wurde eine Entlassung ausgesprochen. Im Strafverfahren nahm die Angeklagte ein Diversionsangebot an, was sie damit begründete, dass sie sich in einem psychisch schlechten Zustand befunden habe und die Angelegenheit auf diese Weise rasch erledigen wollte. Die Entlassung wurde von ihr beim Arbeitsgericht angefochten. Im Entlassungsprozess konnte nicht festgestellt werden, ob tatsächlich ein strafrechtlich relevantes Verhalten gesetzt wurde.

Das Erstgericht hat der Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses Folge gegeben. Das Berufungsgericht hat hingegen die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin habe das Vertrauen des Sozialversicherungsträgers bereits durch die Annahme des Diversionsangebots verwirkt. Der Oberste Gerichtshof gab der dagegen erhobenen Revision der Zahnärztin Folge und stellte das Ersturteil wieder her.

Die Annahme eines Diversionsangebotes könne die Entlassung nicht rechtfertigen. Eine Entlassung könne nicht auf bloße Verdachtsmomente gestützt werden, der Dienstgeber habe vielmehr den Entlassungsgrund zu beweisen. Überdies sei ein Verhalten der Klägerin, dass erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses gesetzt wird, für die Entlassung bedeutungslos (OGH 30.05.2017, 8 ObA 65/16s).

Auch in seiner Eigenschaft als Disziplinaroberkommission entschied der Oberste Gerichtshof in ähnlicher Weise:

Aus der Tatsache der diversionellen Erledigung des Strafverfahrens durch das Strafgericht allein sind für die Beurteilung der Frage, ob im Sinne des § 91 BDG (Beamtendienstrechtsgesetz) schuldhaft begangene Dienstpflichtverletzungen des beschuldigten Beamten vorliegen, weder ein Schuldanerkenntnis durch diesen noch das Vorliegen geringen disziplinären Verschuldens mit Bindungswirkung für das disziplinarrechtliche Verfahren abzuleiten (26/9-DOK/10 vom 13.10.2010).

Dennoch erleben wir es in der täglichen Praxis immer wieder, dass insbesondere Dienstgeber aus dem öffentlichen Bereich aus der Tatsache einer erfolgten Diversion ein Schuldanerkenntnis des Bediensteten ableiten wollen. Dem ist entschieden entgegenzutreten. Sofern nach diversioneller Erledigung des Strafverfahrens ein Disziplinarverfahren beabsichtigt ist, müssen in diesem Verfahren selbstständig und unabhängig von der strafrechtlichen Diversion alle Tatbestandselemente gesondert geprüft und unter Beweis gestellt werden. Eine Bindungswirkung der strafrechtlichen Erledigung durch Diversion besteht nicht.

13.10.2021
Dr. Michael Gärtner