Schon im Jahr 2008 ist Österreich der UN–Behindertenkonvention beigetreten. Die damit eingegangene Verpflichtung, auch tatsächlich dafür zu sorgen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen körperlicher oder geistiger Art gleichberechtigt und selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, wird aber bisher nicht wirklich ernst genommen.
Im Jahr 2006 haben die Vereinten Nationen ein Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen angenommen. Das Ziel des Übereinkommens ist es, Menschen mit körperlichen, seelischen oder geistigen Beeinträchtigungen eine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft in allen Bereichen zu ermöglichen.
Erfreuliche 149 Staaten sind dem Übereinkommen bereits beigetreten, darunter im Jahr 2008 auch Österreich.
Anlässlich der Ratifikation hat der Nationalrat beschlossen, dass das Übereinkommen nicht unmittelbar anwendbar sein, sondern durch die Erlasssung von Gesetzen erfüllt werden soll. Seit der Ratifikation ist allerdings praktisch nichts geschehen; Österreich ist in der Erlasssung der erforderlichen Maßnahmen säumig.
Die Behindertenrechtskonvention formuliert in der Einleitung die Sicherung der Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen als den Hauptzweck des Übereinkommens. Dass auch Menschen mit Behinderungen in den Genuss der Grundrechte kommen sollen, ist für Österreich nicht neu. Der österreichische Grundrechtekatalog kennt keine Ausnahmen für Menschen mit Behinderungen.
Neu an der Konvention ist aber die Sichtweise, dass die Mitgliedsstaaten umfassend verpflichtet werden, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Menschen mit Behinderungen ihre Rechte auch tatsächlich ausüben und möglichst ohne Einschränkungen an der Gesellschaft teilhaben können. Die Sichtweise der Konvention rückt ab vom bisherigen überkommenen Fürsorgegedanken, der Unterbringung in Sondereinrichtungen und dergleichen und legt den Schwerpunkt auf Maßnahmen, die den Menschen mit Behinderungen ein möglichst selbstverantwortetes und selbständiges Leben gleich allen Menschen ohne Behinderung ermöglichen soll.
Ein Beispiel dafür ist die „persönliche Assistenz„, über die an dieser Stelle bereits einmal berichtet wurde. Dabei geht es darum, das der Staat den betroffenen Menschen Mittel und Ressourcen in einer Weise zur Verfügung stellt dass diese Menschen mit Behinderungen sich ihr tägliches Leben selbst und eigenverantwortlich gestalten und am allgemeinen gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Nicht der Staat, die Betroffenen selbst sollen entscheiden, welche Unterstützung und welche Hilfe sie zur Bewältigung des täglichen Lebens benötigen. Die Betroffenen sollen durch die zur Verfügung gestellten Mittel als Nachfrager auf einem Markt auftreten, auf dem Ihnen die erforderlichen Unterstützungen als Dienstleistung angeboten werden.
Diese neue Sichtweise bedeutet in vielen Bereichen eine Abkehr vom bisherigen System einer staatlichen Fürsorge, in der der Staat weiß, was für die Betroffenen gut ist, und erfordert ein Nachdenken über verschiedene überkommene Einrichtungen wie Behindertenhilfe, Sachwalterrecht usw. Diese Diskussion ist leider bisher in Österreich überhaupt nicht begonnen worden. Die Versuche einzelner Betroffener, unter Berufung auf die Behindertenrechtskonvention ihre Rechte einzufordern, werden als politisch unerwünscht abgeschmettert, die Konvention sei kein unmittelbar anwendbares Recht. Dies, obwohl internationale Erfahrungen und Untersuchungen zeigen, dass die Maßnahmen, die aufgrund dieser neuen Sichtweise zur Verfügung zu stellen sind, jedenfalls nicht teurer, in manchen Bereichen sogar deutlich kostengünstiger sind, als die überkommenen Unterstützungsmaßnahmen und Betreuungseinrichtungen.
Es ist höchste Zeit, dass sich auch in Österreich dieses neue Denken langsam durchsetzt und jedenfalls eine Diskussion über die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen begonnen wird, damit Österreich seiner Verpflichtung, die es durch Ratifikation der Behindertenrechtskonvention eingegangen ist, auch tatsächlich nachkommt. Was nützen die schönen Worte und Absichtserklärungen, wenn ihnen keine Taten nachfolgen!
12.10.2011
Dr. Michael Gärtner