Vor kurzem hat der VfGH die Doppelresidenz von Kindern getrennt lebender Eltern bei bestehender Gesetzeslage für zulässig erklärt. Und schon in einigen Entscheidungen hat sich der OGH mit den unterhaltsrechtlichen Folgen beidseitiger Kindesbetreuung befassen müssen. Nun liegt eine richtungsweisende Entscheidung vor, wie Fälle gleichteiliger Kindesbetreuung bei stark unterschiedlichem Einkommen der Eltern zu behandeln sind. Es wird auch eine Methode zur Berechnung des (Rest-)Unterhaltsanspruches in derartigen Fällen entwickelt.
Die gemeinsame Obsorge als das vom Gesetzgeber als Standard vorgegebene Modell der Betreuung von Kindern im Fall der Trennung der Eltern scheint sich inzwischen durchgesetzt zu haben und wird weitgehend akzeptiert. Es muss aber zwingend ein „Heim erster Ordnung“ im Sinne der überwiegenden Betreuung des Kindes bei einem der beiden Elternteile festgelegt werden.
Die Rechtsprechung war bis vor kurzem der Auffassung, dass die zwingende Anordnung eines „Hauptbetreuungssitzes“ einer gleichteiligen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile, also einer Doppelresidenz, entgegenstehe. Aus diesem Grund wurde von Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien auch der Verfassungsgerichtshof angerufen, der jedoch entschieden hat, dass die zwingende gesetzliche Anordnung einer „Hauptbetreuung“ nicht verfassungswidrig ist. Die Festlegung eines überwiegenden Aufenthalts im Sinne der §§ 177 Abs 4, 179 Abs 2 und 180 Abs 2 ABGB stehe bei verfassungskonformer Auslegung der gerichtlichen Genehmigung einer zeitlich gleichteiligen Betreuung des Kindes durch beide Elternteile – allerdings unter doch eher seltenen Voraussetzungen – nicht im Wege.
Nach dem überkommenen und nach wie vor zumeist praktizierten Betreuungsmodell werden die Kinder tatsächlich weitgehend überwiegend bei einem Elternteil betreut, während der andere Elternteil etwa im 14-tägigen Rhythmus an den Wochenenden und zusätzlich einige Wochen in den Ferien Kontakt zu den Kindern hat. In diesem Fall ist die gesetzliche Anordnung klar: Der hauptsächlich betreuende Elternteil erbringt seine Unterhaltsverpflichtung durch die Betreuungsleistung, der andere Elternteil zahlt Geldunterhalt.
Wenn jedoch die tatsächliche Betreuung des Kindes zwischen den Elternteilen anders aufgeteilt wird, sich in manchen Fällen gar einer Doppelresidenz annähert oder tatsächlich gleichteilig ausgeübt wird, ist diese Unterhaltsregelung natürlich nicht mehr sachgerecht.
Der Oberste Gerichtshof hat sich bereits in etlichen Entscheidungen damit befasst, ob und in welcher Höhe in derartigen Fällen Geldunterhalt zu leisten ist. Dabei wurden einige Grundsätze bereits herausgearbeitet:
Erbringt der geldunterhaltspflichtige Elternteil über ein übliches Kontaktrecht hinaus Naturalunterhalt durch Betreuungsleistungen, ist der zu leistende Geldunterhalt zu reduzieren. Als üblich wird nach der ständigen Rechtsprechung ein Kontaktrecht von 2 Tagen alle 2 Wochen sowie von 4 Wochen in den Ferien (also etwa 80 Tage pro Jahr) angesehen. In einigen Entscheidungen wurden aber auch etwas darüber hinausgehende Betreuungsleistungen des geldunterhaltspflichtigen Elternteiles als noch nicht über das übliche Besuchsrecht gravierend hinausgehend angesehen, sodass keine Unterhaltsreduktion zugestanden wurde.
Bei gleichwertigen Betreuung- und Naturalleistungen besteht zumindest bei annähernd gleich hohem Einkommen der Eltern, aber auch bei beiderseitig sehr hohen Einkommen mit theoretischen Unterhaltsansprüchen über der Luxusgrenze kein Geldunterhaltsanspruch. Als gleichteilig in diesem Sinn wurden die Betreuungsleistungen auch dann angesehen, wenn kein Elternteil mindestens 2/3 der Betreuungsleistung erbringt.
Im Zwischenbereich, also bei Naturalunterhalt über dem üblichen Kontaktrecht, aber noch nicht gleichteiliger Betreuung besteht ein Restgeld-Unterhaltsanspruch, der somit jedenfalls geringer ist, als der nach der Prozentmethode errechnete volle Unterhaltsanspruch.
Relativ uneinheitlich war die Rechtsprechung aber bisher bei annähernd gleichteiligen Betreuungsleistungen, jedoch unterschiedlichem Einkommen der Eltern. Auch in der Literatur wurden dazu unterschiedliche Meinungen vertreten.
Der Oberste Gerichtshof hat nun in seiner Entscheidung 1 Ob 158/15 I vom 17.9.2015 eine wichtige Klarstellung für diese Fälle getroffen und auch eine Berechnungsmethode entwickelt:
Zunächst wurde bekräftigt, dass bei gleichwertigen Betreuungsleistungen, wenn also kein Elternteil mindestens 2/3 der Betreuung durchführt und beide getrennt lebenden Elternteile Naturalunterhalt leisten, bei etwa gleich hohen Einkommen oder bei Einkommen beider Eltern über der Luxusgrenze kein Unterhaltsanspruch des Kindes besteht.
Bei weitergehenden Einkommensdifferenzen hat jedoch das Kind gegenüber dem besserverdienenden Elternteil einen angemessenen Geldunterhaltsanspruch, der die Betreuungsleistungen dieses Elternteils ergänzt.
Die Höhe dieses Geldunterhaltsanspruches ist nach folgender Berechnungsmethode zu ermitteln:
In einem ersten Schritt sind die fiktiven Geldunterhaltsansprüche des Kindes gegen beide Elternteile zu ermitteln.
Danach ist die Familienbeihilfe im Verhältnis dieser fiktiven Unterhaltsansprüche aufzuteilen und der entsprechende Anteil bei jenem Elternteil vom fiktiven Unterhaltsanspruch abzuziehen, der die Familienbeihilfe nicht bezieht.
Der so ermittelte Betrag ist zu halbieren (weil die Betreuung je zur Hälfte der Zeit bei beiden Elternteilen erfolgt) und der (ungekürzten) Hälfte des fiktiven Anspruches gegen den anderen Elternteil gegenüberzustellen.
Der Differenzbetrag ist sodann der vom besserverdienenden Elternteil zu bezahlende Unterhalt.
Alles klar?
In der erwähnten Entscheidung wird das Anlassbeispiel durchgerechnet und sei hier zur Veranschaulichung wiedergegeben:
Bei einem Einkommen der Mutter von € 1625 hätte das 13-jährige Kind gegen die Mutter einen fiktiven monatlichen Anspruch von € 325.
Beim Einkommen des Vaters von mehr als € 6.310 wäre der fiktive Unterhaltsanspruch des Kindes in Höhe des zweieinhalbfachen Regelbedarfes (Luxusgrenze), somit Euro 930, festzusetzen.
Nun bezieht aber die Mutter die Familienbeihilfe von € 136,20. Diese ist im Verhältnis der fiktiven Ansprüche etwa 3 : 1 aufzuteilen und im Umfang des auf den Vater entfallenden Anteiles (Euro 102,15) vom Anspruch des Kindes gegen den Vater abzuziehen, sodass ein fiktiver Anspruch von € 828 resultiert.
Dieser Betrag ist nun zu halbieren und dem halben Anspruch gegen die Mutter gegenüberzustellen. Der Differenzbetrag von € 251,50 ist nun der errechnete Restunterhaltsanspruch des Kindes gegen den besserverdienenden Vater.
Weil aber der Unterhaltsanspruch nicht zu berechnen, sondern zu bemessen ist, wurde im konkreten Fall ein Unterhaltsanspruch von € 260 zuerkannt. (Die Vorinstanzen haben immerhin noch € 340 zugesprochen).
Die angeführte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ist daher tatsächlich eine gebotene Klarstellung, die aufgrund einer nachvollziehbaren Berechnung zumindest Rechtssicherheit schafft.
20.01.2016
Dr. Michael Gärtner