Verjährung von Jahresurlaub – „Urlaubssorgepflicht“ des Arbeitgebers

Nach dem österreichischen Urlaubsgesetz verjährt nicht konsumierter Jahresurlaub nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in welchem er entstanden ist (§ 4 Abs 5). Die österreichische Rechtsprechung hat schon bisher darüber hinaus den Grundsatz entwickelt, dass Verjährung dann nicht eintritt, wenn dem Dienstnehmer der Urlaubskonsum gar nicht möglich gewesen ist. Der Europäische Gerichtshof hat nun im Urteil vom 22.09.2022 in der Rechtssache C-120/21 eine Art Urlaubssorgeobliegenheit des Arbeitgebers formuliert: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer in die Lage versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch tatsächlich auszuüben. Dies erfordert es im Regelfall, dass der Arbeitgeber bei drohender Verjährung seinen Arbeitnehmer darauf ausdrücklich hinweisen muss, widrigenfalls er sich nicht auf die Verjährung berufen kann.

Text:
Das österreichische Urlaubsgesetz über den Verbrauch des Urlaubes regelt in § 4, dass der Zeitpunkt des Urlaubsantritts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden muss, wobei die Vereinbarung so zu erfolgen hat, dass der Urlaub möglichst bis zum Ende des Urlaubsjahres, in dem der Anspruch entstanden ist, auch verbraucht werden kann.

§ 4 Abs 5 legt nun fest, dass der Anspruch nach Ablauf von zwei Jahren ab dem Ende des Urlaubsjahres, in dem er entstanden ist, verjährt. Der Urlaubsanspruch soll tunlichst im Jahr seines Entstehens auch konsumiert werden

Zu Auseinandersetzungen über die Verjährung kommt es im Regelfall erst nach Beendigung des Dienstverhältnisses. Bei aufrechtem Dienstverhältnis gilt ja der Grundsatz, dass konsumierter Urlaub stets auf den ältesten entstandenen Anspruch anzurechnen ist. Und eine Geldabfindung des Urlaubes bei aufrechtem Dienstverhältnis ist grundsätzlich verboten. Nur im Falle der Beendigung des Dienstverhältnisses ist für den nicht konsumierten Urlaub eine Urlaubsersatzleistung zu bezahlen. Dabei stellt sich häufig die Verjährungsfrage, wenn sich durch zu geringen Urlaubskonsum während des Dienstverhältnisses ein mehrjähriger Urlaubsanspruch angesammelt hat.

In der Rechtsprechung des Höchstgerichtes wurden dazu schon bisher verschiedene Grundsätze entwickelt, die im Wesentlichen darauf hinauslaufen, dass bei seitens des Dienstnehmers unverschuldetem Nichtkonsum, beispielsweise durch eine längere Erkrankung oder durch Nichtgewährung des Urlaubes durch den Arbeitgeber letzterem eine Berufung auf die Verjährungsbestimmungen versagt ist. Letztlich sind die veröffentlichten Entscheidungen im Regelfall einzelfallsbezogen. Klare Regeln, unter welchen Voraussetzungen eine Verjährung verhindert wird, bestanden diesbezüglich nicht.

Eine durchaus bedeutsame Klärung ergibt sich nun aus einem Urteil des europäischen Gerichtshofes vom 22.9.2022 (C-120/21)!

Das Arbeits- und Sozialrecht ist generell ein Rechtsbereich, der inzwischen sehr weitgehend durch das Recht der Europäischen Union geprägt und fortentwickelt wird, im Bestreben der europäischen Union, eine Vereinheitlichung der nationalen Rechte und einer Etablierung von Mindeststandards für ganz Europa zu bewirken.

Im Zusammenhang des Jahresurlaubes kommt hier unter anderem der sogenannten Arbeitszeitrichtlinie der EG (2003/88/EG) erhebliche Bedeutung zu. Diese Richtlinie stellt zwar kein unmittelbar geltendes Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten dar. Es verpflichtet aber die Mitgliedsstaaten, nationale Regelungen im Sinne der Richtlinie zu treffen bzw. bestehende Regelungen entsprechend anzupassen und verhindert die Anwendung nationalen Rechtes, wenn dieses der Richtlinie zuwiderläuft.

Die Arbeitszeitrichtlinie regelt in ihrem Art 7 unter anderem den Jahresurlaub und verpflichtet die Mitgliedsstaaten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält, wobei dieser bezahlte Mindestjahresurlaub außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.

In den letzten Jahren musste sich der Europäische Gerichtshof in Luxemburg aufgrund von Vorlageanträgen der Gerichte von Mitgliedstaaten mehrfach auch mit nationalen Regelungen über die Verjährung des Jahresurlaubes beschäftigen. Dabei ging es einerseits um die Frage der Unmöglichkeit des Konsums aufgrund von Erkrankung, zuletzt aber auch definitiv um die Verjährungsfrage:

Das Urteil C-120/21 betrifft zwar konkret einen Fall aus Deutschland, dessen BGB vom österreichischen Recht unterschiedliche Verjährungsbestimmungen enthält. Die wesentlichen Aussagen des Luxemburger Gerichtes sind aber auch für Österreich relevant.

Der Europäische Gerichtshof führt in seinem Urteil aus, dass es zwar einerseits im Interesse der Rechtssicherheit zulässig ist, wenn nationale Rechte Verjährungsbestimmungen festlegen. Da aber eine solche Verjährungsbestimmung eine Einschränkung des in der Richtlinie geregelten Anspruches auf bezahlten Mindesturlaub darstellt und es sich beim Urlaubsanspruch auch um einen wesentlichen Inhalt des Artikels 31 der EU-Grundrechts-Charta über gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen handelt, sind für diese Einschränkung eines Grundrechts besondere Voraussetzungen erforderlich.

Zunächst führt das Gericht aus, dass die Verjährung nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sei, sondern sich der Arbeitgeber darauf berufen müsse. Dazu berechtigt sei er aber nur dann, wenn er seiner Urlaubssorgepflicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Da der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrages anzusehen ist, darf die Aufgabe, für die tatsächliche Wahrnehmung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub zu sorgen, nicht vollständig auf den Arbeitnehmer verlagert werden. Der Arbeitgeber erhielte damit eine Möglichkeit, sich seiner eigenen Verpflichtung unter Berufung auf einen fehlenden Antrag des Arbeitnehmers auf bezahlten Urlaub zu entziehen. Der Verlust des Anspruches durch Verjährung setzt daher voraus, dass der betreffende Arbeitnehmer auch tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben. Dies konkretisiert der Europäische Gerichthof dahingehend, dass im Regelfall der Arbeitgeber den Arbeitnehmer ausdrücklich darauf hinweisen muss, dass erworbener Urlaubsanspruch zu verjähren droht. Und selbstverständlich muss er seinem Dienstnehmer auch tatsächlich die Möglichkeit zum Urlaubskonsum geben.

Es darf daher davon ausgegangen werden, dass auch der österreichische Oberste Gerichtshof diese Grundsätze, die er ja ansatzweise in einer Entscheidung vom 27.05.2021 (9 ObA 88/20m) bereits zitiert hat, auch weiterhin anwenden wird und man insofern von einer durch europäisches Recht verfestigten Rechtslage ausgehen kann:

Urlaubsanspruch kann nur verjähren, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit zum Urlaubskonsum hatte und wenn er vom Arbeitgeber rechtzeitig über die drohende Verjährung informiert wird. Wenn das nicht der Fall ist, muss bei Beendigung des Dienstverhältnisses auch viele Jahre zurückliegend erworbener Urlaubsanspruch in Form einer dem Anspruch Bruch entsprechenden Urlaubsersatzleistung abgegolten werden. Auf Verjährung kann sich der Arbeitgeber dann nicht berufen.

09.02.2023
Dr. Michael Gärtner