Anrechnung von Schenkungen im Erbrecht – Was Sie wissen sollten

Wenn ein Familienmitglied verstirbt, stellt sich oft die Frage, was mit Schenkungen passiert, die der Verstorbene vor seinem Tod gemacht hat. Macht es bei der Aufteilung des Vermögens nach dem Tod einen Unterschied, ob einzelne Kinder vor vielen Jahren etwa zum Hausbau eine Geldzahlung geschenkt bekommen haben?

In der Praxis gibt es häufig Fälle, in denen Eltern bereits zu Lebzeiten alle wesentlichen Vermögenswerte an die Kinder verschenkt haben. Nach dem Tod bleibt kaum noch etwas, das aufgeteilt werden kann. Das Gesetz sieht in solchen Fällen spezielle Regelungen vor, die zwei Zielen dienen: Einerseits soll verhindert werden, dass der Verstorbene durch Schenkungen zu Lebzeiten die Pflichtteilsansprüche der Nachkommen und des Ehegatten umgeht. Andererseits soll unter den Erbberechtigten ein gewisser Ausgleich geschaffen werden, wenn einzelne Personen bereits zu Lebzeiten mehr erhalten haben.

Wann sind Schenkungen anzurechnen?

Zunächst ist zu fragen, ob es ein Testament gibt oder die gesetzliche Erbfolge greift. Wenn mangels Regelung die gesetzliche Erbfolge zur Anwendung kommt, muss sich ein Kind auf Verlangen eines anderen Kindes Schenkungen anrechnen lassen, die es vom verstorbenen Vater oder der Mutter erhalten hat (§ 753 ABGB). Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Verstorbene die Schenkung aus laufenden Einnahmen gemacht hat, ohne das Stammvermögen anzugreifen, oder wenn bereits vor dem Tod festgelegt wurde, dass keine Anrechnung der Schenkung erfolgt.

Verstirbt ein Elternteil und hat er kein Testament erreichtet, bekommt jedes Kind grundsätzlich gleich viel vom vorhandenen Vermögen. Wenn ein Kind 15 Jahre vor dem Tod eine Zahlung von EUR 50.000,- erhalten hat, können die Geschwister verlangen, dass die Schenkung berücksichtigt wird. Dadurch erbt das Kind weniger, das bereits vor dem Tod eine Schenkung erhalten hat. Die genaue Berechnung der verbleibenden Ansprüche ist komplex und durch das Gesetz und die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes festgelegt.

Für Eltern ist daher folgendes zu beachten: Wenn ein Kind vor dem Tod eine Schenkung erhalten hat, weil man dieses Kind besonders unterstützen wollte und vom noch vorhandenen Vermögen beide Kinder gleich viel bekommen sollen, ist es notwendig eine Regelung zu treffen. Eine allenfalls bewusste Entscheidung, kein Testament zu verfassen, weil alle Kinder gleich viel vom vorhandenen Vermögen bekommen sollen, führt genau zum Gegenteil. Das Gesetz geht davon aus, dass Eltern ihre Kinder gleich behandeln wollen, wenn sie nichts Anderes festgelegt haben. Das nicht beschenkte Kind kann also eine Anrechnung verlangen, um gleichgestellt zu werden.

Pflichtteilsansprüche als Grenze

Die Grenze der Bevorzugung einzelner Personen bildet das Pflichtteilsrecht. Dabei ist zuerst in zwei Gruppen zu unterscheiden:

Schenkungen an nicht pflichtteilsberechtigte Personen sind nur dann anzurechnen, wenn sie in den letzten zwei Jahren vor dem Tod gemacht wurden (§ 782 ABGB). Nicht pflichtteilsberechtigte Personen sind etwa Freunde, aber auch der Lebensgefährte oder der Schwiegersohn/die Schwiegertochter. Wenn die Schenkung zumindest zwei Jahre vor dem Tod erfolgt ist, kann damit das Pflichtteilsreicht umgangen werden.

Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen (Nachkommen, Ehegatte) sind grundsätzlich zeitlich unbegrenzt anzurechnen (§ 783 ABGB). Dadurch verhindert das Gesetz, dass Eltern einem Kind bereits alle wesentlichen Vermögenswerte vor dem Tod schenken und dem anderen Kind nichts oder deutlich weniger. In solchen Fällen kann das Kind, welches weniger erhalten hat zumindest den Pflichtteil (= Hälfte der gesetzlichen Erbquote) fordern, wobei die Schenkungen vor dem Tod berücksichtigt werden. Falls die noch vorhandenen Vermögenswerte nicht ausreichen, um die Ansprüche zu decken, kann der Pflichtteilsberechtigte vom Geschenknehmer die Zahlung des Fehlbetrags verlangen.

Was gilt als Schenkung?

Der Begriff der Schenkung ist sehr weit gefasst. Darunter fallen neben Geldzahlungen auch andere Leistungen, die faktisch eine Schenkung darstellen. Wenn ein Kind eine Wohnung oder ein Auto des Erblassers jahrelang ohne Miete zu bezahlen, benutzen darf, kann eine Schenkung vorliegen. Außerdem kann der Verzicht auf die Erbschaft nach dem Tod des Vaters durch die Mutter eine Schenkung sein, wenn nur ein Kind dadurch mehr erben soll. Das Gesetz kennt auch hier Ausnahmen: Schenkungen, die aufgrund einer sittlichen Pflicht, zu gemeinnützigen Zwecken oder aus Gründen des Anstandes gemacht werden, sind nicht anzurechnen (§ 784 ABGB). Das Vorliegen einer sittlichen Pflicht hat der Oberste Gerichtshof etwa in einem Fall bejaht, in dem der Vater seinem chronisch erkrankten Kind eine kostenlose Wohnmöglichkeit und Kost zur Verfügung gestellt hat (OGH 2 Ob 195/24a).

Wie wird die Anrechnung berechnet?

Im Einzelfall ist die Berechnung meist komplex, unter anderem weil sich Fragen der Bewertung stellen. Das Gesetz legt fest, dass Schenkungen zunächst in dem Zeitpunkt bewertet werden, zu dem sie tatsächlich gemacht wurden. Dieser Wert wird dann auf den Todeszeitpunkt nach dem Verbraucherpreisindex aufgewertet (§ 755 ABGB).

Bei einer Geldzahlung ist dies der Tag der Übergabe/Überweisung und steht die Höhe fest. Deutlich komplexer kann es werden, wenn Gegenstände wie ein Haus verschenkt werden. Schließlich muss zum Zeitpunkt des Todes festgestellt werden, was das Haus zum Zeitpunkt der Schenkung etwa vor 15 Jahren wert war. Zusätzlich können sich die Eltern ein Wohnrecht oder andere Rechte vorbehalten, wodurch sich wiederum Fragen der Bewertung stellen.

Wenn ein bestimmter Betrag errechnet wurde, wird dieser Wert rechnerisch zum Vermögen im Todeszeitpunkt hinzugeschlagen. Von diesem vergrößerten Nachlass wird der Pflichtteil neu berechnet.

Fazit

Die Anrechnung von Schenkungen im Erbrecht ist komplex und hängt von vielen Faktoren ab: Wer wurde beschenkt? Wann erfolgte die Schenkung? Wer verlangt die Anrechnung? Die genaue Berechnung erfordert mehrere Schritte. Bei konkreten Erbfällen mit Schenkungen empfiehlt sich eine genaue Prüfung der Situation. Für eine individuelle Beratung stehe ich gerne zu Ihrer Verfügung.

Dr. Sarah Korn
24.10.2025